© Konstantin Ulla

Ice Age 4.000

Skihochtourentraining in den Berner Alpen

30.04.2025

Tag 1 – Anreise, Slipperanstieg & überraschende Begrüßung

Treffpunkt: 5:20 Uhr am Münchner Hauptbahnhof – für ambitionierte Skialpinist:innen fast schon Spätaufsteherzeit. Unser Tourenführer Zeno Göschl wartete bereits am Bahnsteig, aber von seinem Kollegen Klaus Miebach fehlte zunächst jede Spur. Sein letztes Lebenszeichen war eine Nachricht um 0:45 Uhr – keine vielversprechende Uhrzeit für Frühaktionen. Nach nervösem Warten kam endlich das ersehnte zweite Häkchen bei Signal – Klaus hatte den Folgezug erwischt.

Mit sieben Umstiegen, jeder Menge Ausblicken entlang der Glacier-Express-Strecke durchs Vorderrheintal und über den Oberalppass erreichten wir schließlich Münster. Dort hatte der Winter allerdings schon längst die Ski gegen Sandalen getauscht – also nutzten wir die Wartezeit auf Klaus mit einem Eis bei gefühlten 25 Grad.

Als endlich beide Tourenführer wiedervereint waren, ging’s los – über einen Wanderweg zur ersten Selbstversorgerhütte. Im T-Shirt und teilweise mit Frottee-Hausschuhen (!). Die Ski mussten sich noch etwas gedulden. Erst auf den letzten 100 Höhenmetern trugen wir sie stolz an den Füßen.

Statt Hüttenruhe und Bergidylle erwartete uns oben ein großes Empfangskomitee: Der Ski-Club Münster hörte lautstark „In München steht ein Hofbräuhaus“ – dazu gab es Willkommensbier. Das nenn ich Gastfreundschaft! Beim anschließenden Hüttenschmaus zauberten wir ein sensationelles 4-Gänge-Menü, bevor es zur ernsthaften Sache kam: Tourenplanung. Per Bonbon-Ziehung wurden zwei Gruppen gebildet, die sich unter der Anleitung von Klaus und Zeno selbstständig an Routenwahl und Umsetzung versuchen sollten – ganz im Sinne eines echten Skihochtourentrainings. (Sidefact: Wobei beide im Laufe der Tour nicht nur Sicherheit vermittelten, sondern auch zuverlässig für Unterhaltung sorgten – als Touren-Radio mit Endlostonspur.)  

Tag 2 – Sonnenaufgang, Firnträume und ein bisschen Drama

Sonnenaufgangsskitour! Gruppe Klaus über die Bächlilicke aufs Vordere Galmihorn, Gruppe Zeno über die Galmilicke – beide mit top Weitsicht, Sonne und Matterhorn im Blick. Auf dem Weg zur Finsteraarhornhütte wurde unsere Fantasie vom Lieferservice beflügelt – dreimal begegnete uns der Hubschrauber von „Lieferando“ und so wurden wir auf der Hütte mit Salat überrascht. Doch nicht nur das Essen sorgte für Aufregung: Während des Abendessens rauschte eine Nassschneelawine an der Aufstiegsrinne vorbei. Zum Glück lagen unsere Ski sicher bei der Hütte – die nächste Tour konnte also stattfinden!

Tag 3 – Königsetappe: Finsteraarhorn, 4.273 m

Der höchste Gipfel der Berner Alpen stand an – mit Haifischflossen-Silhouette und durchschnittlichen 29 Grad Steigung , 1.100 hm auf unter 3 km Strecke, – keine leichte Aufgabe. Am Grat ging’s mit Kletterei (SG II) weiter. Das Wetter? Sonne satt, nur etwas bissiger Wind. Oben: gemeinsames Gipfelfoto mit beiden Gruppen, trotz egozentrischer Überholmanöver mancher Bergführer. Die Abfahrt: Firnschnee vom Feinsten – besser als jedes Wellnessprogramm. Auf der Sonnenterrasse der Hütte konnte der Tag dann standesgemäß ausklingen.

Tag 4 – Grünegghorn, gestrandete Pickel und Teamwork im Whiteout  

Neuer Tag, neues Glück? Laut Wetterbericht: eher nicht. Klaus startete mit zwei Frühaufstehern um 3 Uhr zur Überschreitung des Grünegghorns und Besteigung des Großen Grünhorns. Der Anfang war holprig: Ein Ski verabschiedete sich auf den Gletscher, ein Pickel blieb in der Hütte zurück – was man halt so vergisst beim äußerst frühen Aufbruch in die Dunkelheit. Trotzdem erreichten die Gruppe, nachdem sie den messerscharfen Grat bezwungen hatte, gerade noch rechtzeitig vor Einsetzen des Windes die Abseilstelle vom Grünegghorn, ließ das Große Grünhorn rechts liegen und meisterte die anspruchsvolle Abfahrt zum Ewigschneefäld.

Gruppe Zeno wollte sich zwei leichtere 4000er gönnen – Hinteres und Großes Fiescherhorn – doch nach erfolgreicher Beendigung der Reisegruppe Gletscherbruch machten uns Wind, Kälte und Whiteout einen Strich durch die Rechnung. Am Fieschersattel die große Erleichterung: Menschen! Übergang möglich! Nach Ablassen kämpften wir uns mit Steigeisen und Pickel durch die steile Rinne hinab, um am Seil über den spaltigen Gletscher abfahren zu können (Spoiler: kein Beziehungskrisen in der Pärchenseilschaften). In der Abfahrt kamen auf dem Ewigschneefäld bereits drei Gestalten in Sicht – das kann ja nur der Rest unserer Gruppe, welche das Große Grünhorn erreichen wollte, sein. Und so waren die Sorgen über sie vergessen. Gemeinsam ging’s weiter zur Mönchsjochhütte – letzter Anstieg bei einem Sturm, der später selbst den Toilettengang zum Abenteuer machte.

Tag 5 – Kulturschock auf dem Jungfraujoch und eine Rutschpartie der besonderen Art  

Der Wetterbericht: keine Besserung. Mönch, Jungfrau und Abfahrt über die Lötschenlücke? Gecancelt. Die Hüttenwirte rieten dringend ab. Plan B: Aletschgletscher via Konkordiahütte. Doch vorher: Kulturprogramm! Am höchsten Bahnhof Europas fühlten wir uns plötzlich wie Attraktionen – ungewaschen, mit Gurt und Pickel mitten im asiatischen Touristenspektakel. Im Eispalast entdeckten wir Scrat, naschten uns durch Lindor-Kugeln und genossen von der Sphinx-Plattform den Blick auf unsere bevorstehende Abfahrt.

Auf dem Gletscher zeigte sich schnell: Nur wer die Ski gewachst hatte, kam weit. Der Rest experimentierte mit Rutschtechniken. Die 444 Stufen zur Konkordiahütte machten dann endgültig klar: Das ist eine Tour für die Seele UND die Beine.  

Tag 6 – Geburtstagsüberraschung, Gletscherspalten und Rückkehr in die Zivilisation

Letzter Tag, aber nicht ohne Highlight: Klaus wurde mit Kuchen, Luftballons und einer XXL-Lindt-Schokolade überrascht – Happy Birthday! Danach ging’s am Seil durch Nebel und Regen über den Aletschgletscher. Der geplante, einfache Exit entpuppte sich als Trickkiste: Blankeis, Spalten – ganz anders als auf der Karte – Steigeisen, Pickel und Eisschrauben kamen zum Einsatz. Am Tunnel bei der Gletscherstube: endlich Ende und Sicherheit in Sicht. An der Bahnstation Fiescheralp hieß es: Schuhe aus, Trocknen, Alltag an. Die Rückreise mit dem Zug – klischeehaft mit Verspätung ab der deutschen Grenze – rundete das Abenteuer ab.

Fazit: Nicht alle 4000er konnten bezwungen werden, doch was für eine Tour! Sonne, Whiteout, Regen, Kultur, Firn und Freundschaft – eine rundum gelungene Tour mit lehrreichen Momenten, lustigen Anekdoten und echtem Teamgeist. Ob mit Ski, Steigeisen oder Pralinen – wir haben das Beste aus jedem Tag gemacht.

Melissa Forster