© Klaus Miebach

Zwischen Sonnenschein und Eiseskälte

Hochtourentraining in der Bernina

09.07.2025

Tag 1: Anreise & Aufstieg – Wer braucht schon Stau?  

Wir - Tourenleiter Klaus Miebach,Theresa, Beate, Leo, Mareike - treffen uns am Münchner Hauptbahnhof, bewaffnet mit Pickeln, Stirnlampen und jener kindlichen Vorfreude, die erst bei 4-Uhr-Frühstück oder Schneesturm weicht.  

Die Bahnfahrt bleibt bis zur deutschen Grenze spannend, danach reibungslos wie ein Schweizer Uhrwerk. In Moterratsch steigen wir aus, schnüren die Hochtourenstiefel, und los geht’s: aussichtsreicher Anstieg zur Boval Hütte.  

Tag 2: Piz Boval & Piz Tschierva – Blockrücken, und einsame Abseiler  

Morgens zeigt sich der Berg von seiner sonnigsten Seite. Erster Programmpunkt: Piz Boval – ein recht fester, blockiger Rücken mit netter Kraxelei. Bis hierhin war es eine Standardeingehtour.  

Der Abstieg zum Vadret da Misaur Gletscher jedoch - über einen eingezuckerten Blockgrat - will erst noch gefunden werden. Außerdem sind zwei Abseiler nötig, einer davon weniger vertrauenserweckend, als der andere. Nach Klaus Miebachs Praxistest sind wir - Theresa, Beate, Leo und ich, Mareike - jedoch hinreichend überzeugt und seilen hinterher.  

Weiter geht’s über Schutthaufen zum Piz Tschierva, dann Abstieg zum Vadrettin da Tschierva Gletscher und der Fuorcla Boval. Ab hier sind wir wieder im Mainstream unterwegs, was zumindest eine einfache Wegfindung mit sich bringt.  

Tag 3: Corn Boval – Mehrseillängentraining mit Nebenwirkungen  

Wir basteln uns ein eigenes Kletterkino: Friends, Keile, T-blocks und jede Menge Seilchaos in der Orientierungchallenge. Meist „leicht bis moderat“, wobei man in Hochtourenschuhen schon das Wort „Klettern“ ernst nehmen kann.  

Allerdings reicht‘s dann zwei der Teilnehmerinnen auch: angeschlagen beschließen sie abzusteigen. Es hilft auch nicht gerade, dass die Wetterprognose für die nächsten Tage bestenfalls unbeständig ist und die nächste Hütte auf fast 3600m liegt.  

Tag 4: ‘Der Berg ist kein Frosch, der hupft nicht davon’  

Frühstück um 4 Uhr morgens. Dann Aufbruch. Dank  des Erkundungsspaziergangs am Vorabend kommen wir gut voran. Bald suchen wir uns - weglos in teils steilen Moränen und Blockwerkgelände - von Steinmann zu Steinmann.  

Weiter auf dem Gletscher kommen wir bald in Abbruchgelände, das nur von einem Felssporn, der Fortezza, hoch zur ‘Bellavista’ überbrückt wird. Kraxelgelände, bei dem wir  - wegen der Steilheit, entgegenkommender Seilschaften und zur Übung  - aufs laufende Seil zurückgreifen.  

Auf der eisigen ‘Sonnenterrasse’ der Bellavista angekommen, zieht es doch langsam zu. So kehren wir 100 Höhenmeter unter dem bröseligen Zupo Gipfel, den wir auf dem Weg zu Hütte „noch eben hatten mitnehmen wollen“, doch um.  

Durch eine phantastische Spaltenlandschaft queren wir weiter zur Marco e Roas Hütte. Schon in Italien gelegen, ist hier einiges befremdlich: Chemietoiletten und Mahlzeiten in Einmal-Plastikschalen. Trotzdem, das Abendessen ist richtig gut. (Bloß das Frühstück macht  dem italienischem Klischee alle Ehre).  

Tag 5: Diavolezza – Vom Whiteout und Fünffach-Abseilen  

Morgendlicher Aufbruch zum Piz Palü, doch wir merken bald, dass das Wetter gegen uns ist: Zehn Meter Sicht plus Windstärke knapp unter Sturm lassen uns umdrehen.  Allerdings führt damit unser einziger Übergang zurück über die Fortezza runter. Und den hat gerade eine 21 Mann starke Truppe eingeschlagen. Um warm zu bleiben (und mit der vergeblichen Hoffnung, dass die Wolkendecke doch noch aufreißt) traversieren wir gut zwei Stunden lang hin und her. Jedes Mal suchen wir von neuem unsere Spuren, die Schnee und Wind ausgewischt haben. Eine weitere Seilschaft erkundigt sich bei uns nach dem Weg - die Hälfte sei wenige Höhenmeter weiter unten schon vollständig in einer Spalte verschwunden.  

Es folgen fünf Abseilmanöver über die Fortezza im Schneegestöber. Ich bin, den Weg bei guten Bedingungen am Vortrag gesehen zu haben und auch darüber, dass ich meinen Notfallsatz Handwärmer eingepackt habe.  

Am frühen Abend klart es dann doch auf, und auf der Diavolezza genießen wir ein viergängiges Dinner mit Blick auf den Festsaal der Alpen durch die riesigen Panoramafenster. (Alle sind zuvor der Versuchung einer heißen, kostenlosen Dusche erlegen...)  

Tag 6: Regen, Munt Pers & die Albula-Bahn  

Der Regen trommelt auf unsere Kapuzen, als wir über den Munt Pers-Blockgrat absteigen. Doch er kann uns die schöne und recht feste Zweierkraxelei nicht verderben.  

Als wir beim coop vor Pontresina ankommen, hat es auch bereits wieder aufgeklart. Wir decken uns großzügig ein für die sechsstündige Rückfahrt. Der krönende Abschluss unserer Tour ist dann das Kulturprogramm in Form der Albula-Bahn, ein UNESCO-Weltkulturerbe. Aus dem Fenster bestaunen wir die Viadukte im schönsten Sonnenschein.  

Mareike Bojer